Willkommen auf den Seiten der Lessing-Hochschule
zu Berlin.
Der große Philosoph und Soziologe Max Scheler hat der Lessing-Hochschule
vor 75 Jahren ein - gerade heute wieder - bedenkenswertes Wort ins
Stammbuch geschrieben:
"Was uns notwendig wäre, sind Einrichtungen nach der Art des neben
der Sorbonne in Paris bestehenden 'Collège de France', ein Institut,
in dem die stärksten geistigen Synthetiker der Nation sich an die
höchstgebildete Schicht von Frankreich wenden. An alle Gebildeten
überhaupt - nicht nur an Studenten - sollten sich diese Personen
wenden. ... Eine Mehrheit solcher höchsten Bildungsinstitute, unabhängig
von der Universität oder doch nur in losem Verbande mit ihr, mit
prinzipiell wandelbarer Besetzung, bei der auch der ausgedrückte
Wunsch der Zuhörerschaft eine gewisse Rolle spielen könnte, wäre
hierfür zu empfehlen. Es ist charakteristisch, dass sich die Berliner
Lessinghochschule, die bis vor dem Kriege kleinbürgerliche Bildungsbedürfnisse
durch eine hierzu passende Lehrerschaft befriedigte, in letzter
Zeit gerade in dieser Richtung umgebildet hat. Junge und ältere
Menschen aller Stände hören hier die bedeutendsten Synthetiker der
Berliner Universität." - (aus: Die Wissensformen und die Gesellschaft,
Leipzig 1926)
Unserem Bildungswesen fehlen in der Tat Einrichtungen auf Universitätsniveau,
die - "unabhängig von der Universität oder doch nur in losem Verbande
mit ihr" - eine ganzheitlich-synthetische Bildung anstreben und
ein dialogisches und interaktives wissenschaftliches Studium jenseits
von Fächergrenzen anbieten und pflegen. Ein solches, die Vielfalt,
Dezentralität und Humanität des Denkens und Handelns erst ermöglichendes
Bildungsangebot ist um so wichtiger, je einseitiger Produktion und
Verwertung von - möglichst patentierbaren - Wissensgütern in der
Entwicklung des allgemeinen Hochschulwesens betont und belohnt werden.
Unser Bildungswesen selbst muss dringend auf den Prüfstand öffentlicher
Diskurse. Bildung ist kein privates Gut - sie wird es auch dadurch
nicht, dass sie privat finanziert und organisiert wird. Das Schicksal
des Bildungswesens betrifft uns alle. Die Lessing-Hochschule versteht
sich als ein öffentliches Forum, das mehr und mehr von der privaten
Initiative wacher, verantwortungsbewusster und deshalb "höchstgebildeter"
Bürgerinnen und Bürger getragen wird die das Ihre dazutun, den Druck
der Öffentlichkeit groß genug werden zu lassen, um auch die Politik
beim Umsteuern im Bildungswesen angemessen zu beteiligen.
Vor genau 100 Jahren erschien das erste Vorlesungsverzeichnis der
Lessing-Hochschule. Das wollen wir gemeinsam feiern. Zugleich werden
wir Schritt für Schritt die Lessing-Hochschule als öffentliches
Forum behutsam und umsichtig aufbauen. Diesen Aufbau begleiten erste
neue "propädeutische" Studienangebote, aber auch jene Kurse und
Veranstaltungsreihen, die das traditionelle, anspruchsvolle Lehrangebot
weiter pflegen. Wir wünschen allen Studierenden und Förderern unserer
"Bildungshochschule" (Max Scheler), dass sie sich bei uns wohlfühlen,
weil sie sich einer wichtigen - vielleicht der wichtigsten - demokratischen
Herausforderung stellen.
Die Hochschulleitung
Berühmte Lehrer der Lessing-Hochschule
Namhafte Vertreter des staatlichen, politischen, wissenschaftlichen
und künstlerischen Lebens der Zeit beglaubigten mit ihrem Einsatz
den ungewöhnlichen Ruf und die seltene Offenheit dieser Bildungsinitiative.
Zur renommierten Dozentenschar der Lessing-Hochschule zu Berlin zählten
bis 1933 u.a.:
Alfred Adler
Willy Brandt
Benedetto Croce
Tilla Durieux
Albert Einstein
Wilhelm Furtwängler
Gustav Gründgens
Romano Guardini
Theodor Heuss
Carl Gustav Jung
Herbert von Karajan
Fritz Lang
Emanuel Lasker
Max Liebermann |
Paul Löbe
Thomas Mann
Lise Meitner
Hans Pfitzner
Walter Rathenau
Max Reinhardt
Max Scheler
George Bernard Shaw
Werner Sombart
Gustav Stresemann
Paul Tillich
Ernst Troelsch
Heinrich Wölfflin |
100 Jahre Lessing-Hochschule -
Eine im Bewährten gründende Vision für die Zukunft.
Vor genau hundert Jahren, im Herbst des Jahres 1901, betrat die
Namens- und Vorbildgeberin der heutigen Lessing-Hochschule zu Berlin
mit der Präsentation ihres ersten Vorlesungsverzeichnisses die bildungspolitische
Bühne. Diese neue Bildungseinrichtung auf Universitätsniveau gehörte
seitdem zu den geistigen und kulturellen Zentren im Berlin der Weimarer
Republik.
Kaum jemand in Berlin erinnert sich heute noch an die glanzvolle
Vergangenheit dieser Hochschule, an der international angesehene
Persönlichkeiten wie Albert Einstein und Max Scheler, C. G. Jung
und Georg Simmel, Thomas Mann, Carl Zuckmayer und Stefan Zweig,
Theodor Heuss, Gustav Stresemann und Werner Sombart, Lise Meitner,
Helene Stöcker und Mary Wigman, Romano Guardini, Paul Tillich, Fritz
Lang, Gustav Gründgens, Max Reinhardt, Fritz Kortner, Benedetto
Croce, George Bernard Shaw u. v. m. gelehrt und gewirkt haben.
Ihre heutigen Nachfolgeeinrichtungen in Berlin und Meran werden
mit einer hochrangigen Ringvorlesung an die bedeutendsten Lehrer
der älteren Lessing-Hochschule erinnern. Den großen Lehrern an diesem
kleinen "Harvard", unter ihnen acht Nobelpreisträger, wird man weniger
durch eine postume Laudatio gerecht als vielmehr durch die kritische
"Aneignung" im Horizont des zeitgenössischen Bewusstseins: Würdigen
durch Vergegenwärtigen. Wenige Wochen vor der nationalsozialistischen
Machtergreifung hielt Albert Einstein im Hörsaal der Lessing-Hochschule
in Berlin zum letzten Mal eine Rede. Darin heißt es, das "geistige
Niveau" unserer Zeit sei bedroht: "Übertriebene Wertschätzung körperlichen
Sportes, ein Übermaß von groben Eindrücken, welche die Komplizierung
des Lebens durch die technischen Erfindungen der neuesten Zeit mit
sich gebracht hat, die durch die Wirtschaftsnöte erzeugte Verschärfung
des Kampfes ums Dasein, Verrohung des politischen Lebens - alle
diese Faktoren wirken einer Vertiefung der Persönlichkeit und dem
Streben nach wirklicher Bildung entgegen, geben unserer Zeit das
Gepräge des Rohen, Ungeistigen, Oberflächlichen."
Kein Schelm, wer Böses dabei denkt! Denn leider sind die Parallelen
und Ähnlichkeiten - im Visavis solcher Zitate - zu Personen und
Ereignissen der jüngsten Zeitgeschichte nicht ganz zufällig. Umfassende
Bildung, die über das spezialisierte Fächerstudium hinaus der fächerübergreifenden
Begegnung mit den Wissenschaften, Künsten und Religionen bedarf,
ist gerade heute eine Kernaufgabe für "eine neue Bildungsreform,
die sich nicht darauf beschränkt, Erkenntnisse der Organisationslehre
und der Betriebswirtschaft auf Schulen und Hochschulen zu übertragen"
- so Bundespräsident Johannes Rau in seiner Rede vor dem Bildungsforum.
Der Mensch ist das Wesen, das nicht einfach lebt, sondern sein
Leben führt. Dafür bedarf er der Bilder und Vor-Bilder, der Gedanken
und der exemplarischen Antworten aus Geschichte und Gegenwart, die
ihm die Möglichkeit des Vergleichens und der Befremdung eröffnen.
Ein selbstbestimmtes Leben, ein Leben, so geführt, "dass es zu denken
gibt" (Rüdiger Safranski), kann sich nur mit der Anstrengung des
Gedankens wider die gnadenlosen Folgen der Trivialisierung in Mode
und Werbung, in Meinungs- und Konsummedien zur Wehr setzen. Nicht
ein Mehr an Informationen macht frei, sondern Bildung. Nur Bildung
lehrt uns, zuverlässig zu wissen, was wir nicht zu wissen brauchen
- ohne unter permanenter Informationsangst zu leiden. Innere und
äußere Gelassenheit zu den Dingen verdanken sich jener positiven
Ignoranz und zielgeführten Wahrnehmungsverweigerung, zu denen allein
Bildung befähigt.
Mit unserer Erinnerung an die hundertjährige Geschichte der Lessing-Hochschule
in prominent besetzten Ringvorlesungen in Berlin und Meran weisen
wir nicht nur auf eine glorreiche Vergangenheit zurück. Mit unseren
Jubiläumsveranstaltungen wollen wir zugleich Maßstäbe setzen für
das neue akademische Studienprogramm, für den Aufbau eines europäischen
Bildungsnetzwerkes und für künftige wissenschafts- und bildungspolitische
Dienstleistungen, der Lessing-Hochschule. |